Ein Gastbeitrag von Markus Kretschmer
Wenn man ein Kind nach Dinosauriern fragt, nennt es mit großer Wahrscheinlichkeit zuerst einen der „Dinosaurier-Promis“ aus Nordamerika. Vielleicht fallen ihm auch noch einige Dinos aus Europa, aus Afrika, aus Ostasien oder Südamerika ein. Doch es gibt viele Regionen auf dem Planeten, die einst ebenfalls eine reiche Dinosaurier-Fauna beherbergten, aber die bis heute kaum bekannt sind. Viele dieser Regionen sind für die Forschung aber sogar weit bedeutender als die althergebrachten Dinosaurierfundstellen. Auch wenn man sich an der Erforschung eines Tyrannosaurus oder eines Spinosaurus viel eher einen Namen machen kann, gibt es an anderen Fundstellen durchaus auch sehr interessante Forschungsmöglichkeiten. In Zentralasien gerät dabei seit einiger Zeit vor allem die Bissekty Formation in den Fokus der Dinosaurierforschung.
Die Bissekty Formation
Diese wichtige Fossillagerstätte liegt heute inmitten der Kysylkum, einer trockenen, flachen Kies- und Sandwüste, die im Tiefland von Turan auf dem Staatsgebiet von Usbekistan liegt. Der rötliche Sand war Namensgeber dieser bevölkerungsarmen, lebensfeindlichen Region, die im Norden durch den Fluss Syrdaria, im Südwesten durch den Amudarja begrenzt wird. Das trockene, kontinentale Wüstenklima dort ist auf den Himalaya zurückzuführen. Über die mehr als 8000m hohen Gipfel ziehen kaum feuchte Luftmassen hinüber und bringen den Flachlandregionen im zentralasiatischen Tiefland dabei kaum Niederschläge.
Vor etwa 92 Ma sah es hier jedoch noch ganz anders aus. Damals lag die Bissekty Formation noch direkt am Meer! Lange bevor der indische Subkontinent sich mit Asien verband, wobei der Meeresboden angehoben wurde und sowohl der Himalaya als auch die trockenen Tieflandbecken Zentralasiens entstanden, erstreckte sich hier noch das berühmte Tethys-Meer. Es gürtete sich etwa auf der Höhe des Äquators einmal rings um die ganze Erde und war die Heimat vieler spektakulärer Meerestiere. Usbekistan befand sich zu dieser Zeit noch an der südlichen Spitze des Urkontinents Sibiria, der später zu Ostasien werden sollte. Kein kontinentales Trockenklima, sondern genau das Gegenteil bestimmte in der späten Kreidezeit noch das Erscheinungsbild Zentralasiens. Eine grüne, von dichten Wäldern, flachen Flussebenen und tropischen Sümpfen gezeichnete Landschaft befand sich dort, und sie war ein wahres Paradies für Dinosaurier.

Die Welt während des Turoniums
„Turonium“ wird diese Epoche der Erdgeschichte genannt, die Zeit von vor 93,9 bis 89,7 Ma. Sie ist die zweitälteste Epoche der oberen Kreidezeit und liegt direkt an einem wichtigen Wendepunkt in der Erdgeschichte. Kurz zuvor hatte ein Massenaussterben stattgefunden, wahrscheinlich ausgelöst von massivem unterseeischem Vulkanismus, eine sogenannte Superplume-Eruption. Bei dieser Katastrophe waren viele Teilbereiche der Meere, auch in der Tethys, komplett umgekippt. Giftige Algenblüten verwandelten die zuvor noch herrlichen, lichtdurchfluteten Tropenmeere in eine ätzende, stinkende Brühe. Der Sauerstoffgehalt in den Ozeanen brach ein, und die Nahrungskette in den marinen Ökosystemen zusammen. Viele Meerestiere, wie z.B. die berühmten Ichthyosaurier (Fischsaurier), starben damals aus, und der nun einsetzende Klimawandel hatte auch an Land weitreichende Folgen.

Kreidezeitliche Berühmtheiten wie den Tyrannosaurus oder Triceratops gab es damals allerdings noch nicht. An ihrer Stelle standen noch ganz andere Dinosaurier, die die Welt viele Jahrmillionen lang beherrscht hatten. Doch nun setzte ein Wandel ein. Die Ökosysteme strukturierten sich maßgeblich um. Neue Tiergruppen traten auf, an Land wie auch im Meer. Auch die Pflanzen entwickelten sich weiter. Blütenpflanzen wurden nun bereits häufig und setzten sich vielerorts gegen die Nadelbäume durch. Und um genau diesen Wandel zu verstehen, sind Gesteinsformationen wie Bissekty für die Paläontologie unheimlich wichtig: denn sie lagerte sich genau zu der Zeit ab, als dieser Wandel einsetzte.
Lithologie der Bissekty Formation
Die Lithologie, also der Aufbau der Gesteine in der Bissekty Formation besteht hauptsächlich aus übereinander gelagerten Sandsteinen mit Einlagerungen aus massivem Sandstein, Schluffstein und Tonstein. Die meisten Fossilien werden als Klasten innerhalb der Konglomerate gefunden. Tierfossilien aus verschiedenen Lebensräumen, aus Meerwasser, Brackwasser, Süßwasser und von Landtieren werden hier gleichermaßen gefunden. Die direkt unter Bissekty liegende und deshalb ältere Dzheirantui Formation besteht dagegen noch ausschließlich aus Meerablagerungen, was bedeutet, dass sich das Dinosaurierparadies erst kurze Zeit vorher aus den Fluten der Tethys erhoben haben muss.
Der gute Erhaltungszustand der Fossilien aus der frühen Oberkreide Usbekistans ist wie in den meisten anderen Lagerstätten auf das Wasser zurückzuführen. Damit ein Fossil entsteht, muss das zu fossilierende Objekt sehr rasch vor Verwesung und Verwitterung geschützt werden. Am besten ist das möglich, wenn z.B. ein Tier direkt nach seinem Tod sofort von Schlick und Schlamm bedeckt wird. Die Flussläufe von Bissekty dürften damals also nach heftigen Regenfällen regelmäßig über die Ufer getreten sein. Der mitgeführte Schlamm bedeckte dann die toten Dinosaurier. Noch weit zahlreicher sind allerdings Lebewesen aus anderen Tiergruppen. Wirbellose wie Muscheln, Schnecken und Ammoniten, aber auch Wirbeltiere wie Fische, Amphibien, kleine Reptilien, und Säugetiere sind in der Bissekty Formation zu finden. Den Himmel dominierten noch große und kleinere Flugsaurier, doch auch die Vögel waren dort bereits häufig.
Grabungen in Zentralasien
Schon seit den 1920er Jahren wird die Bissekty Formation intensiv erforscht. Bereits Wissenschaftler der Sowjetunion führten dort kurz nach dem ersten Weltkrieg Grabungen durch. Die geborgenen Funde erfuhren allerdings oft eine eher stiefmütterliche Behandlung. Viele wurden erst Jahrzehnte später beschrieben, da die Suche nach Bodenschätzen für die Geologen eine höhere Priorität hatte. Erst in den letzten zwanzig Jahren bekommen die Fossilien aus Zentralasien immer größere Aufmerksamkeit. Sie werfen nämlich neues Licht auf die Entwicklungsgeschichte der Tiere nach den großen Umwälzungen am Übergang zwischen Unter- und Oberkreide. Und es werden immer wieder neue ausgestorbene Tierarten entdeckt, darunter auch viele zuvor unbekannte Dinosaurier. Allein dieses Jahr sind bislang schon zwei neue Dinosauriergattungen von dort beschrieben worden.
Die Dinosaurier aus Zentralasien
In jüngeren Schichten Asiens und auch Nordamerikas findet sich an vielen Fossillagerstätten der oberen Kreidezeit eine sehr ähnliche Tierwelt. Die Sauropoden, die riesigen, langhalsigen Pflanzenfresser, werden immer seltener, die plattenbewehrten Stegosaurier sind sogar komplett verschwunden. An ihre Stelle treten nun vor allem die Ceratopsier (Horndinosaurier) und Hadrosaurier (Entenschnabeldinosaurier). Andere Pflanzenfresser sind dort die gepanzerten Ankylosaurier und die dickschädeligen Pachycephalosaurier. Unter den Theropoden, den zweibeinig laufenden Fleischfressern, ist auch eine noch völlig andere Artenvielfalt zu finden als zuvor. Kleine, geschickte Beutegreifer wie die Deinonychosaurier (Raptoren), aber auch allesfressende Oviraptorosaurier („Eierdiebe“) und Ornithomimosaurier („Straußennachahmer“) durchstreiften das Gebiet. Und an der Spitze der Nahrungspyramide standen die gefürchteten Tyrannosaurier.

In der ausgehenden Unterkreide hatten jedoch noch die mächtigen Carcharodontosaurier („Haifsichzahn-Saurier“) und die fischfressenden, aber sogar noch größeren Spinosaurier den Ton in ihren Ökosystemen angegeben. Die Tyrannosaurier waren damals noch eher mittelgroße, geschickte und wendige Waldbewohner. Dass sie einmal zu den gefürchtetsten Jägern der Welt aufsteigen würden, wäre wahrscheinlich jedem damals lebenden Dinosaurier wie ein Scherz vorgekommen. Auch in der Bissekty Formation war von diesem Dynastiewechsel noch nichts zu spüren. Zwar gab es dort bereits einen Tyrannosaurier, nämlich Timurlengia. Doch mit nur 3,5m Länge und weniger als 200kg war er ein Zwerg im Vergleich zu anderen Fleischfressern seiner Zeit.
Zeugnisse eines Dynastiewechsels
Timurlengia, benannt nach dem berühmten turko-mongolischen Stammesführer Timur Leng, ist allerdings für die Paläontologen von ganz besonderem Interesse. Besonders sein extrem gut erhaltener Hirnschädel ermöglicht uns tiefe Einblicke in die Neurologie der Tyrannosaurier. Timurlengia war ein verhältnismäßig intelligenter Dinosaurier, mit einem größeren, besser entwickelten und weit vogelähnlicherem Gehirn als die früheren Theropoden wie Allosaurus oder Carcharodontosaurus. Eventuell könnte dies bereits ein Vorteil gewesen sein, der den späteren Tyrannosauriern zu ihrem Aufstieg verhalf, sodass sie nur etwa zehn Millionen Jahre später selbst zu Giganten wurden.

Ein paar Jahre lang wurde diskutiert, ob Timurlengia nicht vielleicht doch schon „freie Bahn“ gehabt und vielleicht doch schon der größte Jäger seines Ökosystems gewesen sein könnte. Der wahre Top-Beutegreifer von Bissekty ist allerdings erst dieses Jahr bekannt geworden. Ulughbegsaurus gehörte noch zur Gruppe der Carcharodontosaurier. Er war zwar längst nicht so gigantisch wie seine Vorgänger aus Afrika, wie etwa der gewaltige Carcharodontosaurus oder seine südamerikanischen Cousins Giganotosaurus und Mapusaurus. Diese erreichten mit beinahe 13m Länge etwa die Ausmaße des nicht mit ihnen verwandten Tyrannosaurus. Ulughbegsaurus dagegen brachte es vermutlich „nur“ auf 8m Länge, aber immerhin auf das stattliche Gewicht von über einer Tonne. Damit war er weit größer als jedes heute lebende Landraubtier und sicher auch ein furchtbarer Feind des viel kleineren Timurlengia.

Unter den Schritten von Ulughbegsaurus zitterten auch viele noch kleinere Fleischfresser, wie der Dromaeosaurier („Raptor“) Itemirus, die Troodontiden Euronychodon und Urbacodon sowie der Oviraptorosaurier („Eierdieb“) Caenagnathasia.
Neuartige Pflanzenfresser von Bissekty
Unter den Pflanzenfressern ist ebenfalls ein Dynastiewechsel zu erkennen. Ob es in Bissekty noch Stegosaurier gab, ist Gegenstand einiger Diskussionen. Einige Fossilien lassen sich nicht mit Gewissheit zuordnen. Aber es könnte durchaus sein, dass Zentralasien diesen stachelbewehrten Pflanzenfressern noch ein Refugium bot. Belegt ist allerdings die Anwesenheit eines „Panzersauriers“ aus der Gruppe der Ankylosaurier. Schon 1998 wurde in der Bissekty Formation der Hirnschädel so eines Tieres freigelegt und zunächst als neue Art der Gattung Amtosaurus zugeordnet. 2004 erkannten die Forscher jedoch, dass es sich um eine bislang unbekannte Gattung handelte, und gaben ihr den Namen Bissektipelta – der Name ehrt natürlich den Fundort. Der Hirnschädel des etwa 3m langen Tieres verrät ebenfalls sehr viel über die Lebensweise der Ankylosaurier. Er verfügte z.B. über einen ausgezeichneten Geruchsinn.

In der frühen Oberkreide trat auch erstmalig eine völlig neue Gruppe von wehrhaften Pflanzenfressern auf. Der aus Bissekty bekannte Turanoceratops gilt als einer der frühesten Ceratopsier (Horndinosaurier) und war vielleicht ein Vorfahre des späteren, viel größeren Triceratops. Turanoceratops war jedoch noch kaum größer als ein Schaf. Lange Zeit war umstritten, um was für ein Tier es sich bei ihm handelte. Die fragmentarischen Fossilien seines Nackenschilds wurden zuerst für Knochenplatten eines Stegosauriers, seine Knochen für die eines Sauropoden gehalten. Heute gilt Turanoceratops als enger Verwandter des nordamerikanischen Zuniceratops, der etwa zeitgleich im südlichen Nordamerika (New Mexico) lebte. Die Ceratopsier kamen also auf beiden Kontinenten vor. Da auch viele andere Dinosaurier von Bissekty denen aus Nordamerika sehr ähnlich sind, ist es wahrscheinlich, dass zu dieser Zeit eine Landverbindung zwischen den beiden Kontinenten bestand.

Sanfte Riesen und flinke Pflanzenfresser
Der größte Pflanzenfresser von Bissekty war allerdings Dzharatitanis, ein langhalsiger Sauropode mit einer Länge von über 12m. Dies ist für Sauropoden-Verhältnisse noch relativ klein, weshalb man ihn auch zunächst für einen Rebbachisauriden (Kurzhals-Sauropoden) hielt. Die Wirbelknochen wiesen ihn jedoch schließlich als Titanosaurier aus, die in anderen Gegenden der Welt damals noch Längen von weit über 25m erreichen konnten. Ob es sich bei Dzharatitanis noch um ein jugendliches Tier handelt, oder ob die geringe Größe vielleicht auf einen begrenzten Lebensraum hindeutet, muss noch weiter erforscht werden. Dzharatitanis wurde auch erst dieses Jahr neu beschrieben, obwohl die Fossilien schon Ende der 1990er geborgen wurden.

Auch die meisten anderen Pflanzenfresser von Bissekty waren verhältnismäßig klein. Von dort sind auch die Überreste mehrerer Ornithopoden, also zweibeinig laufender Pflanzenfresser bekannt. Doch leider lassen sich viele der Funde nicht mit Sicherheit zuordnen, andere wurden bislang nur recht oberflächlich beschrieben und vorsorglich anderen Taxa zugeordnet, wie Bactrosaurus und Gilmoresaurus. Ein etwas vollständigeres Exemplar trägt den Namen Levnesovia und war wahrscheinlich ein früher Vertreter der Hadrosaurier (Entenschnabeldinosaurier), die in der frühen Oberkreide den primitiveren Iguanodonten allmählich den Rang abliefen.

Zukünftige Forschungen
Es bleibt mit Spannung abzuwarten, welche weiteren Funde aus der Bissekty Formation in Zukunft noch zutage treten. Es gibt allerdings auch in den Archiven vieler Museen noch reichlich unbeschriebenes Material. Und auch die bereits bekannten Fossilien werden nach neueren Untersuchungen sicher noch einige Überraschungen bieten. Die Dinosaurier Zentralasiens fügen sich sehr gut in die Erkenntnisse aus anderen Fossillagerstätten ein. Allmählich ergibt sich ein gutes Bild, wie und vor allem welche Dinosaurier in der Oberkreide zu den vorherrschenden Landtieren wurden. Hier spielten komplexe ökologische Vernetzungen eine Rolle. Als sich das Klima änderte, veränderte sich auch die Umgebung. Statt Nadelwälder wurden Laubwälder immer häufiger, was die Sauropoden benachteiligte, aber „moderneren“ Pflanzenfressern gut in die Karten spielte.
Mit dem Verschwinden von Sauropoden und Stegosauriern wurden auch die Carcharodontosaurier immer seltener, weil sie ihrer Hauptbeute beraubt waren. Die hochspezialisierten Fleischfresser konnten schließlich nicht mehr gegen den Konkurrenzdruck zu opportunistischen, cleveren und besser angepassten Tyrannosauriern bestehen. Als sich neue Gebirge emporhoben und neue Landbrücken entstanden, breiteten sich die neuen Dinosauriergruppen über ein riesiges Verbreitungsgebiet aus. Dort entwickelten sie sich weiter, zu eben jenen Dinosauriern, die heute als Spielzeug in vielen Kinderzimmern stehen und in vielen Filmen und Computerspielen zu Berühmtheit geworden sind. Viele bekannte Dinosaurier Nordamerikas, wie Ankylosaurus, Edmontosaurus, Pachycephalosaurus, Triceratops und natürlich auch der berühmte Tyrannosaurus, haben ihre Wurzeln wahrscheinlich in Asien. Und die Fossilien aus der usbekischen Bissekty Formation beleuchten immer mehr ihre bescheidenen Anfänge.
Danksagung
Grossen Lob und vielen Dank für die Zeit und Mühe geht an Markus Kretschmer. Ohne zu zögern hat er meine Bitte einen Gastbeitrag zum Thema „Dinosaurier Zentralasiens“ zu verfassen wahrgenommen und meine Erwartungen übertroffen. Wer sich genauso wie ich es tu für Dinosaurier und Paläontologie interessiert und weitere informative Artikel von Markus zu diesen Urzeitwesen lesen möchte, empfehle ich auf seiner Seite Die weissen Steine regelmässig vorbei zu schauen.
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